Krisengespräch

1

Ich habe dieses letzte Pecha-Kucha als eine Gelegenheit aufgefasst ein bißchen gedankliche Ordnung in meine Auseinandersetzung mit dem Thema Kritik, die nicht nur, aber auch intensiv im Rahmen der Lyrikkritikakademie stattgefunden hat, zu bringen.

2

Es liegt in der Natur der Sache, dass das gewählte Ordnungs- oder Archivierungssystem dabei den inhaltlichen Blick prägt. Es handelt sich im Folgenden um einen Teil meiner persönlichen Ergebnisse, die sich sowohl aus dem theoretischen Reflektieren als auch der Arbeit an eigenen Kritiken ergeben haben.

3

Hendrik hat in seinem Vortrag am ersten Abend im Oktober auf den Zusammenhang des Wortes Kritik mit Krise hingewiesen. In der Krise sind wir ja auf so vielen Ebenen. Umso wichtiger erscheint mir die Frage wie Krisengespräche führen? Schließlich werden in dem kulturellen Raum in dem wir uns befinden symbolische Werte generiert, denen ich einen Einfluss auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nicht absprechen will.

4

Ziemlich früh, im ersten Workshop schon, ging für mich bei der Frage was Kritik alles sein kann, eine dreigeteilte Kategorisierung auf. Mein gedankliches Ordnungssystem konstruierte sich um die Begriffe: Beurteilung – Vermittlung – Essay.

5

Natürlich nicht linear gedacht, sondern als mehrdimensionaler Raum in dem man sich bewegt. Die Kategorien in einem Text nacheinander einfach bürokratisch abzuarbeiten, würde dem Gegenstand nicht gerecht werden. Deshalb ist es viel naheliegender eine Form zu kreieren. Eine, die nochmal eine andere Dimension hat, als die ihrer einzelnen Parameter.

6

Bei der Kategorie der Beurteilung geht es um das, was gemeinhin wahrscheinlich am ehesten mit Kritik assoziiert ist: Ja oder Nein. Jedenfalls ein Einkategorisieren, ein Zu-oder Absprechen von Wert. Bei journalistischen Texten zumindest ist es ausdrücklich erwünscht eine klare Position beziehen.

7

Aber wie passiert das eigentlich? Es gibt Kriterien, ausgesprochene und unausgesprochene. Aber woher kommen die? Von anderen Texten die gelesen werden – also, die, die zum lesen ausgesucht und besprochen werden und von Meinungen und Urteilen über diese Texte. Und all das passiert in einem sozialen Gefüge im Gespräch, in der das Individuum die kleinste Einheit ist.

8

Nur wenn ich darin eine Stimme habe, die gehört wird, erhalte ich auch die „position of power“ die notwendig ist damit meine Beurteilung wahrgenommen wird und meine Aussage eine Wirkung entfalten kann.

Und ob ich die kriege und welchen Einfluss sie hat, hat damit zu tun wer ich bin, was ich sage und wie gut ich die Regeln zu spielen verstehe, die die herrschende Gesprächskultur ausmachen.

9

Die andere Kategorie ist die Vermittlung. Das geht es um die Frage des „Was“, um den Gegenstand. Idealerweise nicht nur in einem abstrakten „über“-Stil wie bei der kirchlichen Lehre zur Zeit als noch niemand lesen und schreiben konnte, vermittelt, sondern so, dass man als Leser mitdenken kann, dazu zumindest eine Möglichkeit angeboten bekommt.

10

Das bedeutet nicht nur ein Zitat notieren, sondern Bildungsarbeit machen. Etwa, indem man durch wohlüberlegte Fragen, die einen Denkvorgang anregen können, einen Weg aufzeigt. Oder – und das erscheint mir die üblichere Vorgehensweise in einem Text – dadurch, das man durch anschauliche Beschreibung die eigene Betrachtungsweise als eine mögliche vorstellt.

11

Vermittlungsarbeit ist nur dann wirklich gut wenn sie einen spezifischen Zugang aufzeigt, genau hinsehen lässt – also nicht durch den Eindruck von Beliebigkeit der künstlerischen Arbeit ihre Qualität nimmt und doch ist es von großer Wichtigkeit, dass sie den künstlerischen Gegenstand nicht tötet durch Festschreibung, sondern seiner Offenheit Rechnung trägt. Insofern muss sie selbst auf eine Art künstlerisch sein.

12

Und wenn es um das Ausprobieren von neuen stilistischen Formen der Kritik geht, dann gilt hier das gleiche wie für alles künstlerisches Arbeiten: es ist wichtig sich für eine Form zu entscheiden, für sich einen Anspruch zu formulieren und sich dann daran abzuarbeiten.

13

Das erscheint mir auch wichtig bei der dritten Kategorie, der des Essays. Unter dem ich all jene Effekte zusammenfassen möchte, die erzeugt werden durch die künstlerische Arbeit in dem, der sie bespricht. Hier geht es um den persönlichen Denkraum des Individuums. Und wichtig für eine gute Arbeit ist sich selbst und die eigenen Denkvorgänge gut zu kennen. Reflexion ist dafür grundlegend.

14

Wenn der Text verlängerter Habitus ist, ist es wichtig über mich selbst zumindest im Grübeln zu sein. Das bewahrt mich vor der Vermessenheit, meinen Blick für neutral oder objektiv zu halten. So kann ich das Risiko gering halten meine eigene Position als universalistisch anzunehmen; nur dann kann ich das was ich mache ernst nehmen, aber mich selbst nicht zu wichtig dabei.

15

Eine Kultur des Kampfes funktioniert über Ausschlüsse. Da ist ein Gespräch immer eine Rangelei um Status innerhalb einer Gruppe und der gute Rat wird bevorzugt in paternalistischer Haltung vorgetragen. Der Ratgebende wird dadurch, dass er sich als seiner Sache sicher gebärt und niemals Unsicherheit zeigt, als Autorität anerkannt.

Etwas anderes wäre eine Kultur des sich gegenseitig Verstehenwollens.

16

Eine die mehr an Perspektiven als Festschreibungen interessiert ist.

Es wäre mehr Auseinandersetzung als Kampf. Gemeinschaft würde sich in erster Linie herstellen durch eine gemeinsame Praxis des Denkens, weniger durch gemeinsame Meinung und Lagerbildung. Aber wer zuhört und um Verstehen ringt hat eventuell nicht jederzeit diese Attitüde fachmännischer Souveränität.

17

Wie muss eine Kritik sein, damit eine Zeitung, die den Prozess einer der mächtigsten Unternehmensberatungen unserer Zeit durchlaufen hat, sie noch kauft?

Die noch wichtigere in Zeiten der Krise ist wohl: Wie lässt sich in neoliberalen Strukturen Qualität erhalten ohne sich selbst immer weiter auszubeuten?

18

Wie adressiere ich meine Leser und wer sind meine Leser? Wie kommuniziere ich auf eine Weise die verschiedenen Adressaten etwas bringen kann? Wenn ich diese Frage ernst nehme, dann stellt sich die nach der angemessenen Sprache immer wieder:

Wie kommuniziere ich höflich aber deutlich, nicht oberflächlich und doch lesbar?

19

Und wie können meine Überlegungen und Beobachtungen von Nutzen sein, nicht nur für mich und die kleine Community um mich, sondern auch für Menschen außerhalb dieses Zirkels?

Also wie kann ich als Kritikerin eine positive Entwicklung bei Produzierenden und Rezipierenden anregen. Und kann dieses Bemühen meine innere Legitimation sein, für das was ich tue?

20

Eine, die relativ unabhängig ist von einer Ermächtigung durch andere? Jedenfalls könnte so eine Art der Legitimation eine Voraussetzung sein, die es begünstigen kann, in Zeiten von immer knapper werdenden Ressourcen Risiken einzugehen. Das Spiel anders zu spielen. Welche Art von Gespräch bemühen wir uns zu kultivieren in Zeiten der Krise? Lyrikkritik erscheint mir als ein interessantes Feld sich nicht nur in theoretischen Erwägungen zu verlieren.

(2019)

Olga Bedia Lang

Dieser Text ist 2019 für einen Vortrag am Haus für Poesie in Berlin entstanden. Er ist konzipiert in Hinblick auf das Zusammenspiel mit 20 Bildern, die jeweils 20 Sekunden projiziert werden. Die Aufzeichnung und weitere Informationen zum Hintergrund gibt es hier und auf der Seite lyrikkritik.de 

Krisengespräch

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Ich habe dieses letzte Pecha-Kucha als eine Gelegenheit aufgefasst ein bißchen gedankliche Ordnung in meine Auseinandersetzung mit dem Thema Kritik, die nicht nur, aber auch intensiv im Rahmen der Lyrikkritikakademie stattgefunden hat, zu bringen.

2

Es liegt in der Natur der Sache, dass das gewählte Ordnungs- oder Archivierungssystem dabei den inhaltlichen Blick prägt. Es handelt sich im Folgenden um einen Teil meiner persönlichen Ergebnisse, die sich sowohl aus dem theoretischen Reflektieren als auch der Arbeit an eigenen Kritiken ergeben haben.

3

Hendrik hat in seinem Vortrag am ersten Abend im Oktober auf den Zusammenhang des Wortes Kritik mit Krise hingewiesen. In der Krise sind wir ja auf so vielen Ebenen. Umso wichtiger erscheint mir die Frage wie Krisengespräche führen? Schließlich werden in dem kulturellen Raum in dem wir uns befinden symbolische Werte generiert, denen ich einen Einfluss auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nicht absprechen will.

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Ziemlich früh, im ersten Workshop schon, ging für mich bei der Frage was Kritik alles sein kann, eine dreigeteilte Kategorisierung auf. Mein gedankliches Ordnungssystem konstruierte sich um die Begriffe: Beurteilung – Vermittlung – Essay.

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Natürlich nicht linear gedacht, sondern als mehrdimensionaler Raum in dem man sich bewegt. Die Kategorien in einem Text nacheinander einfach bürokratisch abzuarbeiten, würde dem Gegenstand nicht gerecht werden. Deshalb ist es viel naheliegender eine Form zu kreieren. Eine, die nochmal eine andere Dimension hat, als die ihrer einzelnen Parameter.

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Bei der Kategorie der Beurteilung geht es um das, was gemeinhin wahrscheinlich am ehesten mit Kritik assoziiert ist: Ja oder Nein. Jedenfalls ein Einkategorisieren, ein Zu-oder Absprechen von Wert. Bei journalistischen Texten zumindest ist es ausdrücklich erwünscht eine klare Position beziehen.

7

Aber wie passiert das eigentlich? Es gibt Kriterien, ausgesprochene und unausgesprochene. Aber woher kommen die? Von anderen Texten die gelesen werden – also, die, die zum lesen ausgesucht und besprochen werden und von Meinungen und Urteilen über diese Texte. Und all das passiert in einem sozialen Gefüge im Gespräch, in der das Individuum die kleinste Einheit ist.

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Nur wenn ich darin eine Stimme habe, die gehört wird, erhalte ich auch die „position of power“ die notwendig ist damit meine Beurteilung wahrgenommen wird und meine Aussage eine Wirkung entfalten kann.

Und ob ich die kriege und welchen Einfluss sie hat, hat damit zu tun wer ich bin, was ich sage und wie gut ich die Regeln zu spielen verstehe, die die herrschende Gesprächskultur ausmachen.

9

Die andere Kategorie ist die Vermittlung. Das geht es um die Frage des „Was“, um den Gegenstand. Idealerweise nicht nur in einem abstrakten „über“-Stil wie bei der kirchlichen Lehre zur Zeit als noch niemand lesen und schreiben konnte, vermittelt, sondern so, dass man als Leser mitdenken kann, dazu zumindest eine Möglichkeit angeboten bekommt.

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Das bedeutet nicht nur ein Zitat notieren, sondern Bildungsarbeit machen. Etwa, indem man durch wohlüberlegte Fragen, die einen Denkvorgang anregen können, einen Weg aufzeigt. Oder – und das erscheint mir die üblichere Vorgehensweise in einem Text – dadurch, das man durch anschauliche Beschreibung die eigene Betrachtungsweise als eine mögliche vorstellt.

11

Vermittlungsarbeit ist nur dann wirklich gut wenn sie einen spezifischen Zugang aufzeigt, genau hinsehen lässt – also nicht durch den Eindruck von Beliebigkeit der künstlerischen Arbeit ihre Qualität nimmt und doch ist es von großer Wichtigkeit, dass sie den künstlerischen Gegenstand nicht tötet durch Festschreibung, sondern seiner Offenheit Rechnung trägt. Insofern muss sie selbst auf eine Art künstlerisch sein.

12

Und wenn es um das Ausprobieren von neuen stilistischen Formen der Kritik geht, dann gilt hier das gleiche wie für alles künstlerisches Arbeiten: es ist wichtig sich für eine Form zu entscheiden, für sich einen Anspruch zu formulieren und sich dann daran abzuarbeiten.

13

Das erscheint mir auch wichtig bei der dritten Kategorie, der des Essays. Unter dem ich all jene Effekte zusammenfassen möchte, die erzeugt werden durch die künstlerische Arbeit in dem, der sie bespricht. Hier geht es um den persönlichen Denkraum des Individuums. Und wichtig für eine gute Arbeit ist sich selbst und die eigenen Denkvorgänge gut zu kennen. Reflexion ist dafür grundlegend.

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Wenn der Text verlängerter Habitus ist, ist es wichtig über mich selbst zumindest im Grübeln zu sein. Das bewahrt mich vor der Vermessenheit, meinen Blick für neutral oder objektiv zu halten. So kann ich das Risiko gering halten meine eigene Position als universalistisch anzunehmen; nur dann kann ich das was ich mache ernst nehmen, aber mich selbst nicht zu wichtig dabei.

15

Eine Kultur des Kampfes funktioniert über Ausschlüsse. Da ist ein Gespräch immer eine Rangelei um Status innerhalb einer Gruppe und der gute Rat wird bevorzugt in paternalistischer Haltung vorgetragen. Der Ratgebende wird dadurch, dass er sich als seiner Sache sicher gebärt und niemals Unsicherheit zeigt, als Autorität anerkannt.

Etwas anderes wäre eine Kultur des sich gegenseitig Verstehenwollens.

16

Eine die mehr an Perspektiven als Festschreibungen interessiert ist.

Es wäre mehr Auseinandersetzung als Kampf. Gemeinschaft würde sich in erster Linie herstellen durch eine gemeinsame Praxis des Denkens, weniger durch gemeinsame Meinung und Lagerbildung. Aber wer zuhört und um Verstehen ringt hat eventuell nicht jederzeit diese Attitüde fachmännischer Souveränität.

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Wie muss eine Kritik sein, damit eine Zeitung, die den Prozess einer der mächtigsten Unternehmensberatungen unserer Zeit durchlaufen hat, sie noch kauft?

Die noch wichtigere in Zeiten der Krise ist wohl: Wie lässt sich in neoliberalen Strukturen Qualität erhalten ohne sich selbst immer weiter auszubeuten?

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Wie adressiere ich meine Leser und wer sind meine Leser? Wie kommuniziere ich auf eine Weise die verschiedenen Adressaten etwas bringen kann? Wenn ich diese Frage ernst nehme, dann stellt sich die nach der angemessenen Sprache immer wieder:

Wie kommuniziere ich höflich aber deutlich, nicht oberflächlich und doch lesbar?

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Und wie können meine Überlegungen und Beobachtungen von Nutzen sein, nicht nur für mich und die kleine Community um mich, sondern auch für Menschen außerhalb dieses Zirkels?

Also wie kann ich als Kritikerin eine positive Entwicklung bei Produzierenden und Rezipierenden anregen. Und kann dieses Bemühen meine innere Legitimation sein, für das was ich tue?

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Eine, die relativ unabhängig ist von einer Ermächtigung durch andere? Jedenfalls könnte so eine Art der Legitimation eine Voraussetzung sein, die es begünstigen kann, in Zeiten von immer knapper werdenden Ressourcen Risiken einzugehen. Das Spiel anders zu spielen. Welche Art von Gespräch bemühen wir uns zu kultivieren in Zeiten der Krise? Lyrikkritik erscheint mir als ein interessantes Feld sich nicht nur in theoretischen Erwägungen zu verlieren. 

(2019)

Olga Bedia Lang

Dieser Text ist 2019 für einen Vortrag am Haus für Poesie in Berlin entstanden. Er ist konzipiert in Hinblick auf das Zusammenspiel mit 20 Bildern, die jeweils 20 Sekunden projiziert werden. Die Aufzeichnung und weitere Informationen zum Hintergrund gibt es hier und auf der Seite lyrikkritik.de 

Dieser Text ist 2019 für einen Vortrag am Haus für Poesie in Berlin entstanden. Er ist konzipiert in Hinblick auf das Zusammenspiel mit 20 Bildern, die jeweils 20 Sekunden projiziert werden. Die Aufzeichnung und weitere Informationen zum Hintergrund gibt es hier und auf der Seite lyrikkritik.de